Funktionieren statt fühlen
Von außen hat mein Leben lange funktioniert, zumindest von außen betrachtet. Ich bin irgendwie durchgekommen, hab gemacht, was man halt so macht – Schule, Freunde, Alltag. Aber innerlich war ich oft wie abgeschnitten. Da war eine ständige Müdigkeit, ich konnte schlecht schlafen, war schnell überfordert, und das alles, ohne genau sagen zu können, warum eigentlich.
Das Seltsame war, ich hab zwar gewusst, dass da Gefühle sein müssten und sollten – aber ich hab sie nicht wirklich gespürt. Es war, als wäre da eine Art Filter zwischen mir und dem, was in mir passiert.
Wenn ich heute zurückschaue, fing das ziemlich früh an. Es gab viele Erwartungen, besonders von meinem Vater – nicht unbedingt laut ausgesprochen, aber deutlich genug. Wie ich zu sein habe, wie ich mich zu verhalten habe. Für eigene Bedürfnisse und Meinungen war da wenig Raum. Also hab ich sie irgendwann einfach weggeschoben, weil der Ausdruck davon sowieso nur bestraft wurde.
Flucht in Ersatzwelten
Und wie viele andere hab ich mir Wege gesucht, um trotzdem irgendwie klarzukommen. Für mich waren das Alkohol und World of Warcraft. Beginnend in der Jugend mit 13 Jahren jedes Wochenende saufen und dazwischen WoW. Beides hat mir geholfen, zumindest kurzfristig. Der Alkohol hat mir das Gefühl gegeben, lebendig zu sein und etwas zu fühlen, und WoW war so eine Art Zufluchtsort – eine Welt, in der ich kurz aussteigen konnte, ohne alles erklären oder aushalten zu müssen und einfach jemand anderes zu sein.
Aber mit der Zeit hat das alles begonnen zu einer Flucht zu werden. Ich hab die Schule geschwänzt, mich immer mehr zurückgezogen, Freunde aus den Augen verloren – und das meiste davon ist einfach so passiert, ohne dass ich’s richtig gemerkt hab. Es war halt meine Art, irgendwie durchzukommen.
Der Wendepunkt
Richtig bewusst wurde mir das alles erst 2019, als ich für längere Zeit stationär im Krankenhaus lag. Ich hatte da schon über zehn Jahre mit einer Autoimmunerkrankung zu tun, aber dieser Schub war anders. Mein Körper war komplett am Limit – Gelenkschmerzen, Haarausfall, totale Erschöpfung. Und das Ganze passierte ausgerechnet an meinem Geburtstag.
Da lag ich also im Bett, körperlich am Boden, innerlich leer – und wusste: So kann’s nicht weitergehen. Irgendwas in mir hat verstanden, dass ich Verantwortung übernehmen muss. Nicht nur für meine Gesundheit, sondern für mein Leben. Für mich selbst.
Von da an habe ich angefangen, Dinge zu verändern. Schritt für Schritt. Zuerst hab ich den Alkohol weggelassen. Das war nicht leicht, weil mein gesamtes soziales Umfeld noch im Partymodus war – und ich plötzlich lernen musste, auf eine andere Art lebendig zu sein.
Danach kamen Therapie, Persönlichkeitsentwicklung, viele Gespräche, viel Innenschau. Und irgendwann bin ich bei der Körperarbeit gelandet – bei Methoden, die nicht nur reden, sondern spüren mit einbeziehen. Auch Männerseminare wurden wichtig, Seminare bei denen ich in einem geschützten Rahmen in Kontakt gehen durfte, Seminar in denen es keine Erwartungen gab und ich mich ausprobieren konnte.
Es war kein glatter Weg. Es gab Phasen, in denen ich gedacht hab, ich komme voran – nur um dann wieder auf alten Mustern zu landen. Aber über die Jahre hat sich etwas in mir sortiert. Es wurde stiller in mir. Klarer. Und ich konnte langsam anfangen, wieder wirklich in Kontakt mit mir zu kommen.
Mein Weg zurück zu mir
Heute würde ich sagen: Ich weiß wieder, wie sich echte Verbindung anfühlt – vor allem die zu mir selbst. Das heißt nicht, dass immer alles rund läuft oder ich alles im Griff habe und der Zugriff auf diese Verbindung immer und perfekt da ist – ich habe selbst noch meinen Weg zu gehen. Aber ich merke, wenn etwas nicht stimmt. Ich kann häufiger Gefühle wahrnehmen, ohne gleich überfordert zu sein oder sie wegzudrücken. Und ich spüre auch körperlich, wenn etwas in die falsche Richtung geht – früher hätte ich das gar nicht bemerkt.
Ich hab gelernt, mir selbst wieder zuzuhören. Nicht im Sinne von „Was denke ich gerade?“, sondern eher: Was ist gerade wirklich da?
Was brauche ich? Was möchte ich? Was fühlt sich stimmig an – und was nicht?
Ein großer Teil davon war auch, mir zu erlauben, Raum einzunehmen. Nicht automatisch zu schauen, ob es für andere passt oder ob ich irgendwo anecke. Sondern mich zu zeigen, so wie ich bin – auch wenn das bedeutet, dass es manchmal unangenehm wird oder jemand damit nicht gut klarkommt.
Diese Veränderung geschah natürlich nicht von heute auf morgen, auch ich wünsche mir immer wieder diesen Klick-Moment wo ich alles verstehe und sich alles von einer Sekunde auf die andere endlich ändert und „repariert“. Es waren viele, viele kleine Schritte, über Jahre hinweg.
Warum ich mit Männern arbeite
Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich mit meinen Themen nicht allein war.
Viele Männer, mit denen ich gesprochen habe – in Seminaren, in Gruppen, in Coachings, im Alltag – haben ähnliche Dinge erzählt. Nicht im Detail vielleicht, aber im Gefühl. Dieses Getrenntsein von sich selbst. Die ständige Anspannung. Der Druck, stark zu sein, klarzukommen, keine Schwäche zu zeigen und das Nichtwissen wie sie sein sollen und dürfen – was richtig ist und was nicht.
Viele Männer haben nie gelernt, sich wirklich selbst wahrzunehmen.
Was da ist, was fehlt, was sie eigentlich wollen – das bleibt oft diffus.
Und das liegt nicht daran, dass sie sich nicht damit beschäftigen wollen.
Sondern daran, dass es nie Raum dafür gab.
Oder dass sie irgendwann aufgehört haben, überhaupt danach zu fragen.
Was ich oft sehe, ist: Männer funktionieren. Sie machen, was erwartet wird.
Arbeiten viel, geben in Beziehungen ihr Bestes, versuchen, niemandem zur Last zu fallen, alle Erwartungen zu erfüllen.
Aber innerlich ist da oft eine Leere.
Manche lenken sich ab, andere ziehen sich zurück. Manche verlieren sich in Arbeit, andere in Konsum, oder in Rollen, die sich eigentlich längst nicht mehr stimmig anfühlen.
Und unter dieser Oberfläche liegt oft so viel.
Sehnsucht nach echter Nähe. Nach Klarheit. Nach Ruhe im Kopf.
Aber eben auch: Unsicherheit. Angst. Traurigkeit. Dinge, für die es in ihrem Leben oft keinen Platz gab.
Genau dort setzt meine Arbeit an.
Nicht, um jemandem zu sagen, wie er sein soll.
Sondern um einen Raum zu schaffen, in dem es möglich wird, sich selbst wieder zu begegnen – auf eine Weise, die ehrlich ist. Und die nicht gleich bewertet, ob das jetzt „männlich genug“ ist oder nicht.
Was mir wichtig ist
In meiner Arbeit geht es nicht darum, irgendwen zu „reparieren“.
Es geht auch nicht darum, ein Ideal zu erfüllen – egal ob das jetzt klassisch männlich oder modern sensibel daherkommt.
Mir geht’s um etwas anderes: wieder Zugang zu dem zu bekommen, was echt ist.
Zu dem, was dich ausmacht, wenn du nicht gerade versuchst, irgendwem zu genügen.
Und ja, das bedeutet manchmal auch, alte Verletzungen anzuschauen.
Nicht, um in der Vergangenheit stecken zu bleiben, sondern um zu verstehen, was dich geprägt hat – und was du heute vielleicht noch unbewusst mit dir herumträgst.
Manchmal heißt das, sich zum ersten Mal zu erlauben, überhaupt Bedürfnisse zu haben.
Oder sich einzugestehen, dass man lange einfach nur durchgehalten hat – aber nie wirklich bei sich war.
Und manchmal reicht es schon, wieder zu merken: Ich bin okay. Auch wenn ich gerade keine Lösung habe. Auch wenn ich nicht weiß, wie’s weitergeht.
Männercoaching bedeutet für mich nicht, etwas draufzupacken – sondern Stück für Stück abzulegen:
Den Panzer, die Schutzmechanismen, die Rollen.
Und zu schauen, was drunter eigentlich schon längst da ist.
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