In den letzten Jahrzehnten liegt das Bild davon, was es heißt, ein Mann zu sein, in der Veränderung.
Früher war das Rollenbild oft klar – in Familie, Job, Beziehung. Da wusste man, was erwartet wird.
Heute ist vieles offener und individueller – und je mehr Freiheit da ist, desto mehr muss man selbst herausfinden, was für einen passt.
Viele Männer stehen heute irgendwo zwischen alten Bildern, neuen Anforderungen und der Frage:
Was davon ist eigentlich meins?
Diese Unsicherheit äußert sich nicht immer direkt.
Oft merkt man’s an Dingen wie innerer Unruhe, Überforderung, Frust in Beziehungen – oder einfach diesem Gefühl:
„Ich weiß nicht, was eigentlich los ist, aber so wie’s ist, stimmt’s nicht.“
In meinen Gesprächen und Coachings tauchen dabei immer wieder ähnliche Themen auf.
Sechs davon begegnen mir besonders häufig. Sie sehen bei jedem anders aus, aber in der Tiefe geht es oft um sehr ähnliche Fragen.
1. Emotionale Zurückhaltung und Unsicherheit
Viele Männer wachsen mit dem Gefühl auf, dass bestimmte Emotionen einfach keinen Platz haben.
Traurigkeit, Angst, Unsicherheit – lieber nicht zeigen. Lieber runterschlucken oder überspielen.
Und das ist selten eine bewusste Entscheidung. Es passiert still, über Jahre. Durch Vorbilder, durch das Umfeld, durch das, was nicht gesagt, aber deutlich gemacht wurde.
Irgendwann wird das zur Gewohnheit.
Man zieht sich innerlich zurück oder reagiert mit Härte – nicht, weil man kalt ist, sondern weil der Zugang zu den eigenen Gefühlen einfach fehlt.
Man weiß nicht genau, was man da eigentlich gerade fühlt. Oder was man fühlen „dürfte“.
Und wenn dann doch mal was hochkommt, fühlt es sich oft überfordernd an. Fast bedrohlich – und man möchte es schnell wieder wegmachen.
Das Problem ist: Wenn dieser Zugang fehlt, fehlt auch ein innerer Kompass.
Gefühle sind nicht einfach „weich“ oder „irrational“. Sie sind Hinweise.
Darauf, was einem wichtig ist. Was nicht passt. Wo eine Grenze erreicht ist.
Wenn man das alles nicht spürt – oder nicht ernst nimmt –, wird es schwer, stimmige Entscheidungen zu treffen.
Dann versucht man, sich an äußeren Dingen zu orientieren: Leistung, Kontrolle, Anpassung.
Und verliert dabei leicht den Kontakt zu dem, was eigentlich zählt.
Was ich in meiner Arbeit oft sehe: Der Ausweg führt nicht über ein forderndes „Jetzt fühl mal richtig!“
Sondern über etwas ganz anderes:
Wahrnehmen lernen.
Klein anfangen.
Einen Raum haben, in dem nichts falsch ist – aber auch nichts übersprungen wird.
Und von dort aus entsteht langsam etwas Neues.
Ein innerer Kontakt, der nicht davon abhängt, ob gerade alles gut läuft – sondern der bleibt, auch wenn’s schwierig wird.
2. Beziehungsthemen und Schwierigkeiten mit echter Nähe
Viele Männer wünschen sich tiefe, verlässliche Beziehungen – mit Partnerinnen, Freunden oder Familie.
Aber gleichzeitig ist da oft auch eine innere Anspannung, wenn es wirklich nahe wird.
Nähe klingt gut, ja – aber sie bedeutet auch, gesehen zu werden. Und das fühlt sich nicht für alle sicher an.
Manche haben gelernt:
Wenn ich mich öffne und zeige, wird’s unübersichtlich. Oder verletzlich. Oder jemand nutzt das aus. Oder es wird runtergemacht.
Andere verlieren in engen Beziehungen schnell den Kontakt zu sich selbst, passen sich an, halten aus – ohne es richtig zu merken.
Und genauso schwer kann das Gegenteil sein – Abgrenzung.
Zu spüren, wo es reicht. Klar zu sagen, was man braucht. Und was zu viel ist.
Auch das fällt vielen schwer – weil es oft nie wirklich vorgelebt oder geübt wurde.
Was dann entsteht, ist dieser innere Spagat:
Nähe wollen – aber gleichzeitig Angst davor haben.
Oder sich zurückziehen, bevor’s zu eng wird.
Das passiert nicht aus Bosheit oder Unfähigkeit.
Es ist ein Schutz. Ein alter Reflex, der mal sinnvoll war – aber heute oft mehr im Weg steht als hilft.
Was in solchen Fällen hilft, ist nicht der Versuch, „richtige Beziehungen“ zu führen.
Sondern der Mut, sich selbst in Kontakt zu bringen.
Zu merken, wo man sich schützt – und warum.
Und dann langsam auszutesten, wie Verbindung geht, ohne sich dabei selbst zu verlieren.
Nicht als Technik. Sondern als Erfahrung.
Und oft ist genau das der Punkt, an dem echte Nähe überhaupt erst möglich wird.
3. Schwierigkeiten, sich selbst zu spüren und eigene Bedürfnisse wahrzunehmen
Viele Männer haben früh gelernt, sich an dem zu orientieren, was von außen gebraucht wird.
Was funktioniert. Was Anerkennung bringt.
Und das hat oft auch gut geklappt – zumindest eine Zeit lang.
Aber dabei geht leicht etwas verloren:
das Gespür dafür, was man selbst eigentlich fühlt oder braucht.
Nicht im Kopf, sondern im Körper. In der Stimmung. Im Bauchgefühl.
Mit der Zeit wird das dann immer undeutlicher.
Man trifft Entscheidungen, die irgendwie „sinnvoll“ sind – aber sie fühlen sich nicht richtig an.
Grenzen werden entweder gar nicht gesetzt oder zu spät.
Und wenn jemand fragt, was man will, kommt vielleicht ein Schulterzucken. Oder ein leeres „Weiß nicht.“
Das ist kein Versagen. Und auch keine Schwäche.
Es ist eine Strategie, die früher mal nötig war: sich anpassen, mitlaufen, Erwartungen erfüllen.
Und genau das wurde oft belohnt – durch Zugehörigkeit, Sicherheit, Bestätigung.
Es ist irgendwo eine Überlebensstrategie.
Wie alle Lebewesen kommen wir auf die Welt und schauen: Wie kann ich hier überleben?
Und das hat bei uns Menschen im psychischen Sinne viel mit unseren Eltern zu tun.
Aber was damals geholfen hat, kann heute zur Blockade werden.
Denn ohne echten Kontakt zu den eigenen Bedürfnissen bleibt vieles diffus.
Beziehungen wirken anstrengend oder oberflächlich.
Berufliche Ziele verlieren an Bedeutung.
Und Entscheidungen fühlen sich mehr nach Reaktion an als nach Wahl.
Der Weg zurück beginnt selten mit einer großen Erkenntnis.
Meistens mit etwas Kleinem:
Zu merken, dass gerade etwas eng wird.
Dass eine Entscheidung sich komisch anfühlt.
Oder dass ein „Ja“ eigentlich ein „Nein“ war.
Daraus entsteht nach und nach wieder ein innerer Bezugspunkt.
Kein lautes „So bin ich!“, sondern ein leiser, stabiler Kontakt zu dem, was man spürt.
Und das verändert mehr, als man von außen sieht.
4. Selbstzweifel und ein brüchiger Selbstwert
Nach außen wirkt oft alles stabil: Beruf läuft, Alltag funktioniert, das soziale Umfeld ist da.
Aber innerlich sitzt bei vielen Männern ein Gefühl fest, das schwer zu greifen ist:
Bin ich wirklich okay, so wie ich bin?
Selbstzweifel zeigen sich selten direkt.
Sie verstecken sich hinter Leistungsdruck, hinter Humor, hinter dem Versuch, alles im Griff zu haben.
Aber sie sind da – als unterschwellige Unsicherheit, als ständiges Hinterfragen, als das Gefühl, nie ganz zu genügen.
Oft reicht schon ein Moment von Kritik, eine Ablehnung, ein Misserfolg – und innerlich klappt etwas zusammen.
So als würde die Fassade bröckeln. Und darunter kommt die Angst hoch, nicht zu reichen.
Das ist kein Zufall.
In vielen Fällen hängen diese Zweifel mit frühen Erfahrungen zusammen, in denen Wert an Bedingungen geknüpft war.
„Gut“ war man, wenn man etwas geleistet hat. Oder wenn man sich angepasst hat.
Und aus solchen Erfahrungen entsteht über Jahre ein Bild von sich selbst, das auf einem wackeligen Fundament steht.
Die große Schwierigkeit dabei: Selbstwert lässt sich nicht dauerhaft durch Erfolge stabilisieren.
Er wird nicht stärker, wenn man „mehr schafft“.
Sondern, wenn man sich selbst so begegnet, wie man ist – auch mit dem, was gerade nicht funktioniert.
5. Einsamkeit und das Gefühl, nicht wirklich verbunden zu sein
Einsamkeit ist ein Thema, über das Männer selten sprechen – obwohl es viele betrifft.
Und es geht dabei nicht nur darum, objektiv allein zu sein.
Man kann mitten im Familienleben stehen, einen vollen Terminkalender haben, Teil eines Teams sein – und sich trotzdem innerlich völlig allein fühlen.
Das liegt oft nicht daran, dass niemand da ist.
Sondern daran, dass man sich selbst nicht zeigen kann. Oder nicht zeigen will.
Aus Angst, zu viel zu sein. Oder zu wenig.
Oder weil man nicht gelernt hat, wie echter emotionaler Kontakt überhaupt entsteht.
Viele Männer tragen das Gefühl in sich, ihre Themen mit sich allein ausmachen zu müssen.
Das hat viel mit Prägung zu tun: stark sein, funktionieren, Probleme lösen – aber bitte leise.
Verletzlichkeit? Lieber vermeiden.
Zweifel? Für sich behalten.
Über die Jahre entsteht daraus eine innere Distanz – zuerst zu anderen, dann zu sich selbst.
Man hört auf, über das zu sprechen, was wirklich wichtig ist.
Und irgendwann ist da niemand mehr, mit dem man ehrlich sein kann – nicht, weil es keine Menschen gäbe, sondern weil man sich zurückgezogen hat, oft ohne es zu merken.
Im Coaching ist es oft genau dieser erste Kontakt, der etwas verändert:
Zu erleben, dass man nicht bewertet wird.
Dass da jemand zuhört, ohne gleich zu lösen.
Dass es erlaubt ist, echt zu sein – mit allem, was da ist.
Und von dort aus wird wieder Verbindung möglich.
Nicht sofort, nicht perfekt, aber echt.
6. Überforderung, innere Leere und Rastlosigkeit
Manchmal geht es nicht um ein einzelnes Problem, sondern eher um ein Grundgefühl:
Alles läuft irgendwie – aber nichts fühlt sich richtig an.
Man ist ständig beschäftigt, aber innerlich bleibt es leer.
Und selbst wenn äußere Dinge „passen“, stellt sich kein echtes Ankommen ein.
Viele Männer erleben genau das: eine Mischung aus Daueranspannung, innerem Druck und dem Gefühl, nie wirklich zur Ruhe zu kommen.
Da ist dieses „Es müsste doch gut sein, aber…“ – und man weiß nicht genau, woher das Aber kommt.
Überforderung zeigt sich nicht immer laut.
Oft eher unterschwellig – als Reizbarkeit, Müdigkeit, Rückzug, innere Unruhe.
Oder als das Gefühl, ständig nach dem nächsten Schritt suchen zu müssen: die nächste Aufgabe, das nächste Ziel, der nächste Impuls, der endlich das Gefühl gibt, dass es stimmt.
Was dahinter oft liegt: über Jahre zurückgestellte Bedürfnisse.
Nach Verbundenheit. Nach Sinn. Nach echter Erholung.
Und auch nach einem Leben, das nicht nur reagiert – sondern in irgendeiner Weise geführt wird.
Die Leere ist kein Zeichen von Schwäche.
Sie zeigt, dass etwas fehlt, das man nicht durch Leistung oder Disziplin ersetzen kann.
Und die Rastlosigkeit ist manchmal nichts anderes als der Versuch, das eigene Erleben wieder spürbar zu machen – egal wie.
Veränderung beginnt oft dort, wo man innehält.
Nicht, um sofort alles zu ändern – sondern um sich ehrlich anzuschauen, was gerade ist.
Was überfordert. Was fehlt. Was unterdrückt wurde.
Und was vielleicht längst bereit wäre, Raum zu bekommen.
0 comments